- Digitaler Wandel ermöglicht neue Geschäftsmodelle – Umsatz des Pharmamarktes in Österreich wird sich bis 2030 fast verdoppeln
- Umsatz mit Gesundheits-IT-Lösungen wie Wearables oder Smartphone-Apps in Österreich soll sich sogar auf über zwei Milliarden Euro verdreifachen
- Start-ups und digitale Lösungen werden den Markt bis 2030 stark verändern
- Margen der weltweit größten Pharmakonzerne sinken – Abhängigkeit von Blockbuster-Medikamenten nimmt zu
- F&E-Ausgaben stiegen 2017 hingegen weiter – Medikamenten-Pipeline wächst um ein Fünftel
Wien, 9. Juli 2018. Die Gesundheits- und Pharmabranche wird in den nächsten Jahren erheblich wachsen. Selbst in gesättigten Märkten wie den deutschsprachigen Ländern Österreich, Deutschland und Schweiz (DACH-Region) liegt noch erhebliches Potenzial für die Pharmabranche. Denn die Digitalisierung ermöglicht ganz neue Ökosysteme und Geschäftsmodelle im Gesundheitsmarkt.
Im Jahr 2015 belief sich der allgemeine Pharmamarkt in Österreich auf rund 2,9 Milliarden Euro , von denen ein Großteil auf den Arzneimittelverkauf fiel. Gesundheits-IT-Lösungen wie zum Beispiel sogenannte Wearables oder Smartphone-Apps sowie Kooperationen etwa über Lizenzvergaben spielten eine vergleichsweise geringe Rolle und brachten rund 700 Millionen Euro bzw. 400 Millionen Euro Umsatz ein.
In den nächsten Jahren dürfte es einen deutlichen Aufschwung geben: Allein in Österreich wird sich der Pharmamarkt bis 2030 von 2,9 Milliarden Euro auf 5,2 Milliarden Euro fast verdoppeln.
Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „From Participants to Principals“ der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY. Im Rahmen einer breiten Analyse wurde darin die Entwicklung des Gesundheitsmarkts in Österreich, Deutschland und der Schweiz analysiert.
Zwar werden auch 2030 noch die klassischen Pharmaverkäufe den größten Teil des Marktes ausmachen. In Österreich werden sie der EY-Studie zufolge voraussichtlich von 1,8 auf 2,6 Milliarden Euro steigen. Allerdings wird der Anteil von Gesundheits-IT-Lösungen am Gesamtmarkt noch deutlicher zunehmen: Für Österreich prognostiziert die Studie eine Verdreifachung von 0,7 Milliarden Euro auf 2,1 Milliarden Euro – Gesundheits-IT-Lösungen werden also ein ähnliches Niveau wie klassische Pharmaverkäufe erreichen. Der Lizenzmarkt als dritte Säule des Pharmamarktes wird nur leicht von knapp 0,4 Milliarden auf 0,5 Milliarden Euro steigen.
„Wir befinden uns auf dem Weg von Pharma 1.0 zu Pharma 3.0 – und damit vom Blockbuster-Modell hin zum „Patient Outcome“ – also einem ergebnisbezogenen Modell. Bisher hatten wir ein bestimmtes Medikament, das auf den Markt gebracht wurde und möglichst viel Umsatz generieren sollte. Jetzt entstehen Ökosysteme, deren Teilnehmer große Mengen an relevanten Informationen austauschen und so individuelle Diagnosen und Behandlungsmethoden für Patienten ermöglichen. Zukünftig wird es für Pharmaunternehmen also viel stärker darauf ankommen, mit digitalen Technologien diesen Informationsaustausch zu kontrollieren und zu analysieren, um daraus Angebote für die Patienten zu entwickeln“, kommentiert Erich Lehner, Managing Partner Markets und Leiter Life Sciences bei EY Österreich.
Life-Science-Start-ups werden Konzernen Marktanteile abjagen
Dabei werde sich allerdings ein Wettbewerb mit neuen Marktteilnehmern entwickeln, die Pharmakonzernen – je nachdem, welche Strategie diese verfolgen – Marktanteile abjagen dürften. Für die Studie wurden daher unterschiedliche Szenarien durchgespielt, die alle gemeinsam haben: Die neuen Marktteilnehmer werden für die Pharmakonzerne zur ernsthaften Konkurrenz. Bis 2030 werden laut EY-Prognose Life-Science-Start-ups zwischen 30 und 45 Prozent des deutschsprachigen Marktes übernehmen.
Am meisten Anteile müssten die Pharmakonzerne demnach abgeben, wenn sie sich rein auf Effizienzmaßnahmen konzentrieren und Innovationen von außerhalb der Branche übernehmen, statt sie selbst zu entwickeln. Das für sie beste Szenario ergibt sich, wenn sie darauf abzielen, das gesamte Ökosystem selbst zu kontrollieren und zu gestalten.
Für den gesamten DACH-Markt würden die etablierten Pharmakonzerne im letzteren Fall mit einem Jahresumsatz von rund 66 Milliarden Euro auch weiterhin das traditionelle Pharmageschäft bestimmen. Start-ups würden mit rund 12 Milliarden Euro nur einen Bruchteil davon umsetzen. Dafür würden sie bei neuen, IT-basierten Gesundheitslösungen den Markt dominieren und hier rund 22 Milliarden Euro umsetzen. Die traditionellen Pharmaunternehmen kämen demnach zwar „nur“ auf rund 13 Milliarden Euro Gesamtumsatz in dem Bereich – aber in den anderen Szenarien würden die Start-ups noch mehr Anteile an dem disruptiven IT-Markt übernehmen.
„Daten sind das neue Gold der Pharmaindustrie“, so Erich Lehner. „Start-ups haben hier gewisse Vorteile, weil sie flexibler sind und neue Lösungen schnell entwickeln können. Für die großen Konzerne wird es vor allem darum gehen, Daten in Informationen zu übersetzen, die ihnen helfen, Patienten die bestmöglichen Behandlungsmethoden anzubieten. Wir reden hier von einer völlig neuen Situation für die Unternehmen, die erst noch lernen müssen, welche Daten wirklich wichtig sind und wie sie diese am besten verarbeiten können. Das führt letztlich auch zu einer neuen Kultur, die erst noch in den Konzernen ankommen muss: Die Zusammenarbeit über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg wird von zentraler Bedeutung sein, damit Ökosysteme funktionieren und sowohl den Unternehmen als auch den Patienten Mehrwert liefern können.“
Margen der weltweit größten Pharmakonzerne sinken – Abhängigkeit von Blockbuster-Medikamenten nimmt zu
Dass sich Pharmaunternehmen auf ein zunehmend schwierigeres Marktumfeld einstellen müssen, zeigt auch die ebenfalls heute veröffentlichte Analyse der Finanzkennzahlen der 21 größten Pharmaunternehmen der Welt, die die Prüfungs- und Beratungsorganisation EY erstellt hat.
Demnach sanken die Margen der 21 größten Pharmakonzerne der Welt – aber die größten Umsatzbringer wachsen weiter, nämlich Wirkstoffe gegen Krebs und sogenannte Blockbuster-Medikamente. So sind 40 Prozent der derzeit in der Entwicklung befindlichen Wirkstoffe Krebsmedikamente. Bereits 2017 verdienten die Pharmaunternehmen damit fast jeden dritten Euro: Die Umsätze im Bereich Onkologie stiegen von 130,1 Milliarden Euro auf 137,4 Milliarden Euro.
Gleichzeitig wuchsen die Umsätze mit Blockbustern deutlich stärker als die Gesamtumsätze: Während die Top-21-Pharma-Unternehmen 2017 insgesamt 447,5 Milliarden Euro Umsatz und damit nur 0,4 Prozent mehr als im Vorjahr generierten, stieg der Blockbuster-Umsatz um fünf Prozent auf 268,6 Milliarden Euro. Damit stieg der Blockbuster-Anteil an den Gesamtumsätzen um 1,5 Prozentpunkte auf 60 Prozent.
Das zumindest leichte Wachstum beim Umsatz findet sich nicht beim operativen Ergebnis wieder: Das EBIT sank im Vergleich zum Vorjahr um 2,4 Prozent auf 151,3 Milliarden Euro. Allerdings spielten Wechselkurseffekte 2017 eine große Rolle: Währungsbereinigt stiegen die Umsätze deutlicher um 2,6 Prozent an und das EBIT entwickelte sich mit minus 0,4 Prozent nur leicht negativ.
Auch die Marge ging zurück: Sie betrug 2017 26,5 Prozent, das waren 1,8 Prozentpunkte weniger als 2016 aber 0,2 Prozentpunkte mehr als 2015.
„Die Abhängigkeit der großen Pharmakonzerne von Krebsmedikamenten und den Umsatz bringenden Blockbustern nimmt zu“, so Erich Lehner. „Allerdings steigen die Umsätze nur noch auf niedrigem Niveau. Und die sinkenden Margen zeigen: Die Unternehmen müssen einen Weg finden, Innovationen zu entwickeln und lukrative Nischen zu besetzen. Das passiert derzeit auch in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Neue individuelle Behandlungsverfahren werden künftig immer wichtiger. Insofern kann eine zu hohe Abhängigkeit von Blockbustern auch zu einem Risiko werden.“
Erich Lehner weiter: „Über die Margen in der Pharmabranche wären nach wie vor fast alle anderen Branchen froh. Dennoch zeigt der Rückgang ein Problem auf: Der Wettbewerbsdruck in den größten Therapiebereichen wie der Onkologie ist enorm – vom großen Kuchen bleiben nur kleine Stücke. Zudem können sich die Konzerne zwar weiterhin auf ihre Blockbuster verlassen. Allerdings erlauben neue Technologien sehr viel zielgerichtetere Therapien. Sie sind aber in der Regel erheblich teurer. Für die Konzerne wird deshalb viel von der Akzeptanz der neuen Therapieformen und der Zahlungsbereitschaft der Patienten beziehungsweise der Gesundheitssysteme abhängen.“
Regionale Unterschiede: Rest der Welt wächst stärker als gesättigte Märkte in Europa oder USA
Hinzu kommt, dass gerade in den großen Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien die Nachfrage immer größer wird. Das sorgt dafür, dass sich die Umsatzentwicklung regional sehr unterschiedlich darstellt. Während in den relativ gesättigten Märkten USA und EU die Umsätze nur leicht gewachsen sind, erwirtschafteten die Pharmakonzerne 2017 im Rest der Welt 2,6 Prozent mehr Umsatz. „Weltweit wächst eine immer größere Mittelschicht heran, die sich auch teurere Therapien leisten kann. Dadurch geraten neue Märkte für die Pharmaunternehmen in den Blickpunkt“, so Lehner.
Auf die Nachfrage reagieren die Konzerne bei der Medikamentenentwicklung mit gesteigerten Ausgaben für Forschung und Entwicklung: Die 21 Top-Pharmakonzerne gaben dafür 2017 insgesamt 84,9 Milliarden Euro aus – das waren 3,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch da hatten sie ihre Ausgaben im Jahresvergleich bereits gesteigert, mit einem Plus von 4,8 Prozent sogar etwas deutlicher als 2017.
Pipeline der großen Pharmaunternehmen ist prall gefüllt
Die Pharmaunternehmen haben ihre Pipeline prall gefüllt und drängen mit immer neuen Wirkstoffen auf den Markt. 2017 stieg die Zahl der Wirkstoffe in der klinischen Entwicklung um fast ein Fünftel (19,4 Prozent) nach einem Wachstum von knapp 12 Prozent im Vorjahr. Insbesondere in den letzten beiden Phasen kurz vor dem Markteintritt stieg die Zahl signifikant von 200 im Vorjahr auf 315. Über einen Zweijahreszeitraum betrug das Wachstum in diesen Phasen sogar 85 Prozent.
„Die hohe Zahl der in die Zulassung gelangenden Produkte ist ein gutes Zeichen“, sagt Lehner. „Zum einen für die Unternehmen, weil sie die kostenintensive Entwicklung zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Zum anderen aber auch für die Patienten, weil ihnen neue Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Durchbrüche in einzelnen Bereichen stimulieren zudem den gesamten Pharmamarkt und sorgen für einen Schub in der Forschung und Entwicklung.“ Als Beispiel nennt Lehner sogenannte Checkpoint-Inhibitoren – also Proteine, die auf Zellebene das Immunsystem gegen Krebs unterstützen – auf denen in der Pharmabranche viele Hoffnungen bei der Krebsbehandlung ruhen.
„Die Forschung und Entwicklung in der Pharmabranche wird immer effektiver“, beobachtet Lehner. „Nicht erfolgversprechende Wirkstoffe können inzwischen bereits in frühen Entwicklungsphasen erkannt werden. Die verbleibenden Wirkstoffe können durch genauere Testverfahren erfolgreich weiterentwickelt und auf den Markt gebracht werden. Das macht auch individuelle Medikamente für spezielle Erkrankungen lukrativer“, so Lehner abschließend.
EY im Überblick
EY* ist eine der führenden Prüfungs- und Beratungsorganisationen in Österreich. Das Unternehmen beschäftigt rund 1.000 Mitarbeiter an vier Standorten und erzielte im Geschäftsjahr 2016/2017 einen Umsatz von 131 Millionen Euro. Gemeinsam mit den insgesamt über 250.000 Mitarbeitern der internationalen EY-Organisation betreut EY Kunden überall auf der Welt.
EY bietet sowohl großen als auch mittelständischen Unternehmen ein umfangreiches Portfolio von Dienstleistungen an: Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung sowie Transaktionsberatung und Managementberatung.
*Der Name EY bezieht sich in diesem Profil auf alle österreichischen Mitgliedsunternehmen von Ernst &Young Global Limited (EYG), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem Recht. Jedes EYG Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen.
[2] Erfasst sind die umsatzstärksten börsennotierten Pharmaunternehmen sowie Boehringer Ingelheim als global größtes privates Pharmaunternehmen in Familienhand. Untersucht wurden die Bilanzen der Jahre 2015, 2016 und 2017. Branchenfremde Aktivitäten sind nicht in die Analyse eingeflossen.