- Europäische Start-ups erhielten 2022 rund 75 Milliarden Euro Risikokapital – 15 Prozent weniger als 2021
- Nach einem Rekordhalbjahr bricht das Finanzierungsvolumen in der zweiten Jahreshälfte um 39 Prozent ein
- Europaweit wurden 2022 insgesamt 8.409 Finanzierungsrunden gezählt – etwa gleich viele wie im Vorjahr (2021: 8.397)
- Finanzierungsrunden: Großbritannien weiter auf Platz eins, Deutschland trotz Rückgangs weiterhin auf Platz zwei vor Frankreich
- Finanzierungsvolumen pro Runde in Europa geht um ein Drittel zurück – in Frankreich sind die Runden am größten, Österreich wie 2021 auf Rang elf
- Der schwedische Batteriehersteller Northvolt erhält mit 1,0 Milliarde Euro die größte Finanzspritze Europas – in Österreich bekamen 2022 GoStudent und TTTech Auto die größten Finanzspritzen
- London bleibt Start-up-Hauptstadt Europas – Paris überholt Berlin sowohl bei Anzahl als auch Volumen der Finanzierungsrunden
Wien, 13. April 2023. Die Rekordjagd bei Europas Start-ups hat im zweiten Halbjahr 2022 deutlich abgebremst: Nachdem in der ersten Jahreshälfte mit über 46 Milliarden Euro mehr Risikokapitalinvestitionen als je zuvor in Jungunternehmen geflossen sind, gab es in der zweiten Jahreshälfte einen deutlichen Rückgang um 39 Prozent auf etwas mehr als 28 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Wert seit 2020. Insgesamt ist das Gesamtvolumen damit um 15 Prozent von 88 auf 75 Milliarden Euro zurückgegangen – das ist immer noch der historisch zweithöchste Wert.
In Österreich folgte die Entwicklung 2022 dem europäischen Trend: Der Gesamtwert der Investitionen sank im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2021 um knapp 18 Prozent – allerdings fiel das Minus im zweiten Halbjahr mit 83 Prozent deutlich höher aus. Mit rund einer Milliarde Euro Investitionsvolumen fällt Österreich im europaweiten Vergleich von Rang 11 auf Rang 16 zurück – 2021 wurden noch 1,23 Milliarden Euro eingesammelt. Im Gegensatz zu den Volumina gab es bei den Finanzierungsrunden keine Rückgänge: Mit 8.409 gab es fast genau gleich viele Finanzierungsrunden wie 2021, als 8.397 Runden durchgeführt wurden. In Österreich war sogar ein leichter Anstieg um fast 14 Prozent von 130 auf 148 Runden zu sehen – damit verbessert sich Österreich um drei Plätze auf Rang zwölf.
Das durchschnittlich pro Finanzierungsrunde lukrierte Kapital für ein europäisches Start-up ging damit, nach einem erheblichen Sprung im Vorjahr, wieder um rund ein Drittel auf 9,0 Millionen Euro zurück. Das höchste Investitionsvolumen pro Finanzierungsrunde erzielten Start-ups aus Frankreich mit rund 15,5 Millionen Euro, gefolgt von Schweden (15 Millionen Euro) und Belgien (11,4 Millionen Euro). Österreich verzeichnet einen Rückgang von 8,3 Millionen auf rund 7,0 Millionen Euro und belegt damit wie 2021 Rang elf.
Das sind die Ergebnisse des Start-up-Barometer Europa der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY. Die Studie basiert auf einer Analyse der Investitionen in europäische Start-ups. Als Start-ups werden dabei Unternehmen gewertet, die nicht älter als zehn Jahre sind.
„Das Start-up-Jahr 2022 in Europa hat zwei Gesichter gezeigt: Während im ersten Halbjahr neue Rekordmarken aufgestellt wurden, hat der Markt im zweiten Halbjahr stark abgebremst. Die zunehmende Zurückhaltung von Investorengruppen aufgrund der geopolitischen Unsicherheiten, der steigenden Zinsen, der hohen Inflation und des Einbruchs von Tech-Börsenwerten spiegelt sich in einem deutlichen Rückgang bei den investierten Volumina wider. Es wird zwar weiter investiert – aber weniger, unter anderen Voraussetzungen und mit anderen Rahmenbedingungen: Angesichts steigender Kapitalkosten und sinkender Bewertungen achten Investor:innen mehr auf Rentabilität als auf langfristige Wachstumsversprechen. Jungunternehmen sind gefordert, sich darauf einzustellen und einen klaren Weg zur Profitabilität aufzuzeigen“, so Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.
„Mit 75 Milliarden Euro haben europäische Start-ups trotz eines Rückgangs – der jedoch weniger stark ausfällt als im globalen Schnitt – immer noch die zweithöchste Finanzierungssumme der Geschichte erzielt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt in Europa und verglichen mit anderen Regionen wie Nordamerika oder Asien sind das aber noch immer geringe Summen. Das europäische Start-up-Ökosystem hat sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt, hinkt aber immer noch hinterher und ist nach wie vor zu stark abhängig von Investoren aus den USA oder Asien“, ergänzt Haas.
Die drei größten Start-up-Finanzierungen des Jahres gingen allesamt an Unternehmen außerhalb der dominanten europäischen Märkte UK, Frankreich und Deutschland. Der schwedische Batterie-Hersteller Northvolt erhielt mit rund einer Milliarde Euro die größte Finanzspritze im vergangenen Jahr. Auf Platz zwei folgt das türkische Liefer-Scale-up Getir mit 720 Millionen Euro, Rang drei geht an das Mobilitäts- und Liefer-Unternehmen Bolt aus Estland mit 628 Millionen Euro. Die größte Transaktion in Österreich war eine Finanzspritze von 300 Millionen Euro für das EduTech-Unternehmen GoStudent, gefolgt von TTTech Auto mit rund 250 Millionen Euro.
Österreichs Start-up-Szene folgt europäischer EntwicklungÖsterreich hat sich, wie schon im Vorjahr, fast genau im europäischen Durchschnitt entwickelt. Der Gesamtwert der Investitionen sank um 18 Prozent von 1,23 auf rund eine Milliarde Euro. Bei der Anzahl der Finanzierungsrunden gab es sogar einen leichten Anstieg um knapp 14 Prozent von 130 auf 148 Runden. Damit gehört Österreich zu jenen neun der Top 15-Standorte, die 2022 mehr Finanzierungsrunden als im Vorjahr verzeichneten. An sechs Standorten, darunter Deutschland als einziger der Top-3-Standorte, gab es hingegen einen Rückgang der Finanzierungsrunden.
„In Österreich hat der Start-up-Höhenflug des Vorjahres im stürmischen Umfeld insbesondere im zweiten Halbjahr deutlich abgebremst. Die bereits seit einigen Monaten weltweit zu beobachtende starke Zurückhaltung der Investor:innen in Hinblick auf Wachstumsfinanzierungen und Kapitalspritzen außerhalb des eigenen Portfolios lässt sich mit leichter Verzögerung auch an den Zahlen ablesen. Nachdem es im ersten Halbjahr noch dank einiger Millionenrunden, die noch 2021 verhandelt wurden, einen neuen Finanzierungsrekord gab, ist der Markt im zweiten Halbjahr deutlich ruhiger geworden. Gerade bei der Wachstumsfinanzierung, die in Österreich fast ausschließlich durch internationale Investorengruppen getätigt wird, wird sich die bereits in der zweiten Jahreshälfte zu beobachtende starke Zurückhaltung von Risikokapitalgeber:innen auch in den nächsten Monaten weiter niederschlagen“, so Haas.
London bleibt trotz Finanzierungsrückgangs Start-up-Hauptstadt EuropasWie in den Vorjahren vereinigte die Start-up-Szene in London 2022 trotz eines deutlichen Rückgangs das mit Abstand höchste Finanzierungsvolumen auf sich: Mit rund 16,8 Milliarden Euro wurde dort mehr Risikokapital in Start-ups investiert als in Paris, Berlin und Stockholm zusammen bzw. als in ganz Frankreich oder in ganz Deutschland. Allerdings verzeichnete London gegenüber 2021 mit einem Minus von 17 Prozent einen deutlichen Rückgang an Investitionszuflüssen. Noch deutlicher fiel dieser mit einem Minus von 53 Prozent in Berlin aus. Start-ups mit Sitz in Wien brachten es auf ein Gesamtfinanzierungsvolumen von 814 Millionen Euro – das bedeutet Rang 14 im europäischen Städteranking, ein Platz schlechter als 2021, als 1,09 Millionen Euro lukriert wurden.
Auch bei der Anzahl der Finanzierungsrunden belegt London mit 1.564 Runden – sogar geringfügig mehr als im Vorjahr mit 1.556 Deals – mit Abstand Platz eins. Paris folgt mit 457 Deals (2021: 467) auf Rang zwei, Berlin auf Rang drei bringt es auf 391 Abschlüsse – ein Minus von 22 Prozent gegenüber 2021 mit 503 Abschlüssen. Wien belegt im Städteranking Rang 16: Mit 83 Finanzierungsrunden wurden hier zehn Abschlüsse mehr als 2021 gezählt.