- Kleinere, aber mehr Finanzierungsrunden in Österreich: Anzahl steigt im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 um 15 Prozent von 79 auf 91 – das Volumen schrumpft jedoch von 884 Millionen Euro auf 356 Millionen Euro
- Durchschnittliches Finanzierungsvolumen sinkt auf ein Drittel
- Die Hälfte des Gesamtvolumens entfällt auf die zwei größten Finanzierungsrunden von Gropyus und MYFLEXBOX
- Globale Krise am Finanzierungsmarkt – Österreich im historischen Vergleich dennoch mit guter Entwicklung
- Die meisten Finanzierungsrunden gab es im Software- und Technologiebereich
- Wien liegt bei Investitionsvolumen und Deal-Zahl erneut weit vorn
- Nachhaltigkeit bei Start-ups rückt stärker in den Fokus von Investor:innen
Wien, 4. Juli 2023. Nachdem 2021 und im ersten Halbjahr 2022 weltweit alle Rekorde in Hinblick auf Start-up-Finanzierungen geknackt wurden, haben steigende Zinsen, wirtschaftliche Unsicherheiten und hohe Inflation das Marktumfeld stark eingetrübt. In Österreich gab es – wie schon im zweiten Halbjahr 2022 – auch in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 einen deutlichen Rückgang: Heimische Start-ups lukrierten in diesem Zeitraum 356 Millionen Euro und damit um rund 60 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2022 bzw. rund 33 Prozent weniger im Vergleich zu 2021. Verglichen mit dem Vor-Boom-Niveau der letzten beiden Jahre bedeutet das Finanzierungsvolumen im ersten Halbjahr 2023 aber immer noch die größte lukrierte Summe und liegt um 140 Prozent über dem bis dahin stärksten ersten Halbjahr 2020 mit 148 Millionen Euro.
Die zwei großen Finanzierungsrunden 2023 des österreichisch-deutschen PropTechs Gropyus mit rund 100 Millionen Euro sowie des Logistik-Scale-up MYFLEXBOX mit rund 75 Millionen Euro vereinten dabei die Hälfte des gesamten Investitionskapitals auf sich. Unter den Top-5-Investments des Jahres finden sich außerdem noch das oberösterreichische CleanTech-Unternehmen neoom (insgesamt 41 Millionen Euro), der Lieferketten-Spezialist Prewave (18 Millionen Euro) sowie das Cloud-Software-Scale-up TSET (13 Millionen Euro).
Die Anzahl der Finanzierungsrunden stiegt hingegen um 15 Prozent auf 91 und damit auf eine neue Bestmarke für einen Halbjahreszeitraum in Österreich.
Das sind Ergebnisse des Start-up-Barometers Österreich der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Berücksichtigt wurden Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.
Finanzierungspush trotz schwieriger Rahmenbedingungen„Die Rekordjagd bei Start-up-Finanzierungssummen ist vorbei. Nachdem in den vergangenen beiden Jahren neue Höchstmarken erreicht wurden, ist das Investmentvolumen für Österreichs Start-ups im ersten Halbjahr 2023 stark zurückgegangen. Klammert man die beiden außergewöhnlichen Jahre 2021 und 2022 als Sondereffekte aus, zeigt sich aber dennoch eine positive Entwicklung des heimischen Start-up-Ökosystems: In den ersten sechs Monaten 2023 gab es fast mehr als doppelt so viel Geld für Österreichs Start-ups wie im besten Vergleichszeitraum vor der Pandemie. Ebenfalls erfreulich ist vor allem, dass trotz der schwierigen Rahmenbedingungen und Zurückhaltung von Investorengruppen so viele heimische Start-ups wie in keinem Vergleichszeitraum davor neues Investmentkapital einsammeln konnten. Trotz des Rückgangs beim Volumen aufgrund der Rahmenbedingungen lässt sich daher festhalten: Es wird nach wie vor in Österreichs Start-ups investiert und das Ökosystem bleibt attraktiv für Geldgeber:innen“, sagt Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.
Die neue Bestmarke bei Finanzierungsrunden sei in Anbetracht der aktuellen Rahmenbedingungen umso höher einzuschätzen, so Haas: „Start-ups sind momentan mit einem äußerst herausfordernden Umfeld konfrontiert. Die Kombination aus wirtschaftlicher Unsicherheit, massiv erhöhten Energiekosten und hoher Inflation hat viele Investorengruppen zu einem strategischen Umdenken gebracht, das eine starke Zurückhaltung bei Finanzierungen von Start-ups zur Folge hat. Momentan liegt der Fokus auf der Unterstützung von Unternehmen im eigenen Portfolio, an neue Geldgeber:innen zu kommen ist aktuell sehr schwierig.“
„Sinkende Bewertungen und eine Marktkonsolidierung im Vergleich zu den beiden Vorjahren wird dazu führen, dass gerade stark wachsende und bei der letzten Finanzierungsrunde hoch bewertete Start-ups in den nächsten Monaten eine sogenannte ‚Downround‘, also eine Finanzierungsrunde mit einer niedrigeren Bewertung als beim letzten Mal, machen werden. Aktuell liegt der Fokus daher auf Überbrückungsfinanzierungen, wo insbesondere bestehende Investorengruppen Kapital nachschießen. Neue Beteiligungen sind derzeit trotz prall gefüllter Kassen weniger im Fokus von Venture-Capital-Gesellschaften, der Wettbewerb um Finanzierungen zwischen den Start-ups steigt aufgrund des Wartemodus von Geldgeber:innen damit stark. Für Start-ups auf Suche nach Investments ist es daher besonders wichtig aufzuzeigen, dass sie bereits Erfolge am Markt verzeichnen, Kund:innen langfristig gewinnen und einen klaren Weg in Richtung Profitabilität zeichnen können“, sagt Haas.
Neue Bestmarke bei Finanzierungsrunden – aber Volumen sinkt starkDie Anzahl der Finanzierungsrunden für österreichische Start-ups ist in den ersten sechs Monaten 2023 um rund 15 Prozent von 79 auf 91 gestiegen – damit haben so viele heimische Start-ups wie noch nie innerhalb eines Halbjahres ein Investment lukriert. Gleichzeitig reduzierte sich das Gesamtvolumen deutlich, die Finanzierungsrunden wurden bedeutend kleiner. Das durchschnittliche Volumen der Deals, bei denen eine Summe veröffentlicht wurde, ging deutlich auf ein Drittel – von 13,5 Millionen Euro auf 4,6 Millionen Euro – zurück. Im ersten Halbjahr 2021 lag das durchschnittliche Volumen mit rund 9,0 Millionen Euro doppelt so hoch, 2020 hingegen bei rund der Hälfte mit 2,5 Millionen Euro.
Der Trend zu größeren Finanzierungsrunden in Österreich hat sich in den ersten sechs Monaten 2023 umgekehrt: So wurden nur noch zwei Finanzierungsrunden mit einem Volumen von mehr als 50 Millionen Euro gezählt, im Vorjahr waren es noch fünf. Einen deutlichen Anstieg gab es im Frühphasenbereich von bis zu einer Million Euro, wo 55 heimische Start-ups frisches Kapital erhalten haben – um ein Viertel mehr als im ersten Halbjahr 2022.
„Zwischen Anfang 2021 und Mitte 2022 wurden Finanzierungsrunden zu noch nie dagewesenen Bewertungen abgeschlossen. Im Langzeitvergleich sind diese drei Halbjahre als Sondereffekt einzuordnen. Mit dem geänderten Marktumfeld hat auch eine Konsolidierung stattgefunden, der überhitzte Wettbewerb ist merkbar abgekühlt. Damit sind auch die Bewertungen wieder deutlich zurückgegangen, was sich in kleineren Finanzierungsrunden widerspiegelt. Die Zeit des großen Risikos ist vorübergehend zu Ende, Investorengruppen finanzieren deutlich selektiver und mit weniger Kapitaleinsatz. Dass es in Österreich so viele Finanzierungsrunden wie noch nie gegeben hat, unterstreicht die in den letzten Jahren deutlich gestiegene Professionalität und Attraktivität des heimischen Start-up-Ökosystems“, so Haas.
Software- und Technologiebranche verzeichnet die meisten Deals Die meisten Finanzierungsrunden wurden im ersten Halbjahr 2023 wie schon im Vorjahr im Softwarebereich abgeschlossen. Mit SaaS, Artificial Intelligence, Virtual Reality, Blockchain, Cloud, Cyber Security sowie Data Analytics umfasst dieser Bereich Start-ups mit neuen Technologien. Mit 30 Finanzierungsrunden (2022: 24) liegt die Branche deutlich vor E-Commerce-Unternehmen (15; 2022: 8), und Mobility-Start-ups (11, 2022: 6). Nachdem 2021 aufgrund der Corona-Pandemie der Gesundheitsbereich deutlich zulegte, rangieren in den letzten beiden Jahren wieder eindeutig Tech-Unternehmen ganz oben in der Gunst der Investorengruppen.
Drei Branchen konnten im bisherigen Jahresverlauf Gesamtfinanzierungssummen von jeweils mindestens 50 Millionen Euro anziehen. Hinter dem Sektor ConstructionTech/Green Building mit knapp über 100 Millionen Euro durch die Finanzierungsrunde für Gropyus waren dies die Bereiche Mobility (89 Millionen Euro) und Software & Analytics (65 Millionen Euro).
Den größten absoluten Zuwachs gegenüber der Vorjahresperiode verzeichnete der Sektor ConstructionTech/Green Building gefolgt vom Bereich ClimateTech/GreenTech/CleanTech. Das stärkste Minus verzeichnete der Bereich Education, der es nach einem Gesamtfinanzierungsvolumen von 300 Millionen Euro durch die Mega-Runde für GoStudent im ersten Halbjahr 2022 nur noch auf ein Finanzierungsvolumen von zwei Millionen Euro brachte.
Wien bleibt Start-up-HotspotErneut gab es in Wien besonders viele Investitionen, die Hauptstadt konnte ihren Vorsprung als Start-up-Hotspot gegenüber den anderen Bundesländern wieder klar behaupten: Mit 52 Finanzierungsrunden (2022: 47) vereinigten die Hauptstadt-Jungfirmen jede zweite der hierzulande gezählten Finanzierungsrunden auf sich (2022: 60 %). Wie im Vorjahr folgen auf Rang zwei und drei Oberösterreich (11 Runden, 2022: 11) und die Steiermark (9 Runden, 2022: 8).
Das mit Abstand meiste Kapital konnten erneut Wiener Start-ups einwerben: Mehr als jeder zweite hierzulande in Start-ups investierte Euro (56 %) wurde im ersten Halbjahr 2023 in Wiener Jungunternehmen investiert. Aufgrund der Millionenrunde für MYFLEXBOX belegt Salzburg in diesem Ranking mit einem Marktanteil von rund 23 Prozent erstmals Rang zwei vor Oberösterreich, dessen Start-ups es auf einen Marktanteil von rund 14 Prozent bringen.
Nachhaltigkeit rückt stärker in den FokusFür Investorengruppen liegt der Fokus bei Investments in Start-ups klar auf den Themen Digitalisierung und neue Technologien. Als zweiter wesentlicher Bereich hat Nachhaltigkeit in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen.
Im ersten Halbjahr 2023 wurden zehn Finanzierungsrunden (2022: 11) verzeichnet, die einen Sustainability-Bezug aufweisen. Das Finanzierungsvolumen stieg deutlich: Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 58 Millionen Euro in österreichische Start-ups mit Sustainability-Fokus investiert, das entspricht einem Anteil von rund 16 Prozent an der insgesamt investierten Summe von 356 Millionen Euro. Im Vorjahreszeitraum lag der Anteil nur bei zwei Prozent.
„Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind die bestimmenden Themen der nächsten Jahre für alle Unternehmen. Start-ups können hier als Innovationstreiber eine essenzielle Funktion einnehmen. In Österreich will nach eigenen Angaben knapp ein Drittel der Start-ups Lösungen für die ökologische Transformation, den Kampf gegen den Klimawandel, die Dekarbonisierung oder Kreislaufwirtschaft bieten. Der Nährboden in Österreich für Green-Innovation-Start-ups ist sehr gut. Investorengruppen werden in diesem Bereich in den nächsten Jahren deutlich öfter und mehr investieren“, so Haas.